Weihnachten gilt als Zeit der Besinnung, als Zeit des Rücksinnens, als Zeit der Einkehr. Es ist die natürliche Zeit für Kargheit, Dürre, Kälte, Dunkelheit und Tod. Der Höhepunkt dieser Gesinnung findet sich in der Natur am 21. Dezember: Es ist Wintersonnenwende; Zeit des kürzesten Tages und der längsten Nacht in diesem Jahr. Die Natur folgt diesem Rhythmus schon seit Ewigkeiten und wir sind als Teil der Natur dazu angehalten diesen Prozess mitzuerleben und diesen wiederkehrenden Rhythmus von „gebähren-reifen-erntenvergehen“ in Demut anzuerkennen. Auch wenn wir glauben, wir könnten uns durch einen sogenannten Fortschritt namens Technik über diese Gesetze von Mutter Erde hinwegsetzen. Das ist eine der größten Lügen, denen wir heutzutage verfallen sind. Denn auch wenn wir in der kältesten Jahreszeit in unseren scheinbar wohl gewärmten Häusern verbringen, wirken diese Wesens- und Geisteskräfte der Naturzeiten von Kälte, Stille, Kargheit und Tod um uns und in uns. Nicht umsonst ist und bleibt die Zeit von November eine Zeit, in der wir besonders von Tiefphasen und depressiven Verstimmungen heimgesucht werden, die sich oftmals nicht hinreichend vom Verstand begründen lassen. Das liegt daran, dass wir nach wie vor an die Natur angebunden sind, die in dieser Zeit von alten Dingen (Stichwort: Blätter) ablässt, loslässt und Trennungsprozesse durchläuft, die sich für uns mit Gefühlen von Verlust, Trauer und Melancholie bemerkbar machen. Lassen wir diese Emotionen, diese Form von Energie unbewertet durch uns fließen, halten wir nicht an ihnen fest und überlegen angestrengt, woher sie wohl kommen mögen. Alles einfach da sein lassen, alles hat seinen Platz und seine Zeit; damit es wieder gehen kann. Auch diese Art von Emotion ist nur eine Form von Energie, die gesehen, gefühlt und wieder losgelassen werden will, damit sie weiterfließen kann.

Eine bereits für die Kelten besonders magische Zeit im Dezember beginnt mit der Wintersonnenwende (Jul) und den sich anschließenden Rauhnächten. Weihnachten ist für uns alle schon lange ein heiliges Fest. Es geht letztendlich um die Geburt des Lichts. In dem Moment, in dem die Dunkelheit am Größten
ist, ist die Macht des Lichts Stärksten. Das verstehen wir Menschen eigentlich völlig natürlich. Irgendwie verwunderlich; Als Kind sah ich in dieser Zeit manch bewusst schmückendes warm-weißes Licht, manchen bewusst entzündeten Kerzenschein als Symbol der Hoffnung, als Ankündigung von bevorstehendem Neubeginn und zu erwartenden Wundern, die der Dunkelheit und dem Tod auf ganz
natürliche Weise folgen. Heute gehe ich durch die Straßen an wild blinkenden Lichtern, grellen Scheinwerfern und spektakulären Lichtershows vorbei, die beinahe schreien, wie
groß die Angst vor der Dunkelheit ist und nur durch übertriebene,
unechte Inszenierungen vor eben dieser größten Furcht
ablenken wollen.

Denn wer will sich in einer Hochleistungsgesellschaft, die vor Unechtheit, vor „Perfektion“, vor Schöpferwillen, vor Geschäftigkeit nur so strotzt, seinen dunklen Seiten und den dunklen Seiten der Gesellschaft zuwenden? Wer traut sich noch in seine eigenen Tiefen und damit auch in die Tiefen der
Gesellschaft?

Ich bin der Überzeugung, dass es unsere Aufgabe als menschliches Wesen ist, dieser Dunkelheit, dieser Stille, dieser Kargheit und dem Tod in seiner Natürlichkeit Raum zu verschaffen; dass wir uns diese Schattenseiten ansehen, diese angstbesetzten Seiten des Lebens, die Seite des Todes betrachten und alles damit verbundene zunächst einmal da sein lassen.

Denn nur das, wovor wir nicht mehr fliehen, sondern was wir kennen, was wir bewusst durchwandert haben, kann uns nicht mehr kontrollieren. „Die Angst vor…“ war noch nie ein guter Wegbegleiter und scheucht uns vor sich her wie eine dauerhaft vom Löwen bejagte Gazelle. Mit dem Wort „Leben“ ist dieser Zustand nicht mehr zu beschreiben geschweige denn mit „Mensch-Sein“. Weihnachten ist im Rahmen der Dunkelheit ein Fest des Lichts, ein Fest der Gemeinschaft und ein Fest der Liebe; und zwar zu ALLEM. Liebe im Sinne von Frieden mit dem, was gerade ist, mit der Dunkelheit, die sich gerade zeigt. Es geht nicht mehr um „schein-heilige“ Kirchengänge, unehrliches Zusammensitzen mit der Familie, weil „man“ es eben so tut. Es ist Zeit für Neues, was gleichzeitig uralt ist und schon immer da war; es ist Zeit für unsere ganz eigenen, ehrlichen „Predigten“ in unseren kleinen Gemeinschaften und Ehrlichkeit gegenüber uns selbst und unseren Mitmenschen. Weihnachten als Fest der Liebe – auf unsere Eigenverantwortung als Mensch.

K. Kraus
Dezember 2018